Dieser Artikel stammt leider nicht von mir, sondern aus einer Heiden und Hexen Zeitschrift von 1996 und wurde von Vicky Gabriel verfasst. Aber ich habe ihn für Euch mit viel Liebe und Geduld abgeschrieben... das ist doch auch was, oder?
Das Element Feuer ( - Betrachtet mit den Augen einer Nixe)
Chefredakteure … also wirklich! Einen Artikel über das Element Feuer soll ich schreiben, hat er gesagt. Aber was Besonderes, nicht dieses Zeug, von dem jeder sofort weiß, wo ich es abgeschrieben habe, hat er gesagt. Etwas wirklich Neues, Einfallsreiches. Wieso gerade ich, ich bin doch ein doppeltes Wasserzeichen, habe ich gejammert. Genau deswegen – hat er gesagt. Sprach´s und ging heimtückisch grinsend seiner Wege.
So, und nun sitze ich hier an meinem nagelneuen gebrauchten Computer, auf den ich unheimlich stolz bin und der mir, wie mir ein gewisser Herr Warneck versichert hat, all die Arbeit unendlich erleichtert, die ich ohne ihn gar nicht hätte (meinte er den Rechner oder sich …?); ich sitze also hier und schaue aus meinem metaphorischen Waldsee hinaus auf – tja, auf was eigentlich – ich denke mal, es handelt sich um ein Lagerfeuer.
Seltsam ist das. Ein Knacken und Knistern, ein Prickeln und Brodeln geht davon aus. Menschen sitzen drumherum; sie singen und lachen, und ein sanfter Duft nach gebratenen Würstchen steigt mir in die Nase. Ich bemerke, wie neidisch ich werde. Mein kleiner See ist ja schön und gut, aber mehr als zwanzig Grad hat er selbst im Hochsommer nicht – wie soll er auch, wo er doch ständig im Schatten des bis an die Ufer reichenden Waldes liegt. Und die kalten Bergflüsse tun ihr übriges. Auch die Gesellschaft, die man hier hat, ist nicht immer die interessanteste. Ja, wenn Neptun ab und an seine Süßwasserausläufer ins heimische Gewässer steckt, dann ist was los, dann geht’s rund, dann boxt der … oh, Verzeihung. Das das kommt allenfalls selten vor; zumeist muss ich mit den eher unbeholfenen Aufmerksamkeiten des alten Nöck vorlieb nehmen. Nichts gegen den greisen Herrn; aber sein Charme hat seit dem Jahre Neunzehnhundert keine Runderneuerung mehr erfahren und wurde mit der Zeit ein wenig … glitschig. Überhaupt – ja, bin ich denn in meinem Leben jemals etwas anderes als nass gewesen? Und wie, vernixt noch mal, schmeckt wohl gebratenes Essen?
Ich schwimme mal vorsichtig ein wenig näher heran – man kann ja nie wissen, immerhin haben wir es hier mit dem Erzfeind zu tun, mit dem meinen eigenen in streitsüchtiger Anordnung genau entgegengesetzten Element! Die Luft oberhalb der Wasserfläche wird spürbar wärmer. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll ….. Hilfe, sie schießen! Lauter kleine Feuerflieger kommen auf mich zugeflogen, genau in dem Moment, wo Menschen Holz nachlegen – das zischt auf meiner nassen Haut – das tut sogar ein wenig weh – nein, das kann nicht gut sein. Würstchen hin, Würstchen her, ich lasse mir doch keine Löcher in meinen wohlgeformten Schuppenpanzer brennen! Für den Rest des Abends verkrieche ich mich unter den Wasserwurzeln einer alten Weide. Da weiß man doch wenigstens, was einen erwartet.
Es wird eine lange Nacht. Erst sehr spät verlassen die Menschen meinen See; über das Lagerfeuer schütten sie tatsächlich Teile meines Wasserbetts und schimpfen dabei über „die Algen“. Nun ja, woher sollen sie es auch wissen, und ich müsste eh´ schon längst mal wieder frisch beziehen. Aus dem dunklen Hag tritt auf leisen, vorsichtigen Pfoten der Luchs, um gleich darauf mit tiefen, durstigen Zügen den Wasserstand meines Sees deutlich zu verringern. Es sei ihm gegönnt, denke ich seufzen; ohne ihn wäre mein Leben so langweilig wie eine niemals endende Handarbeitsstunde. Er schaut mich belustigt an. „Na, Angst gehabt?“ fragt er spöttisch. Ich fahre auf: „ Was heißt hier Angst? Sieh dir meinen Schuppenpanzer an; wie lange habe ich daran gearbeitet, und jetzt hat er Löcher!“
Er nimmt noch ein , zwei Schluck, um sich dann genießerisch im mondhellen Gras zu räkeln. „Das tut ihm auch ganz gut“, schnurrt er zu mir hinüber. „ Sag mir, kleine Nixe, wann bist Du zum letzten Mal berührt worden – darunter, meine ich?“
Ich schaue ihn verblüfft und ein wenig schockiert an. Berührt worden! Darunter! Ja, hat er denn den Verstand verloren? Was weiß denn er davon, wie lange unsereins daran arbeitet, wie das Wasser selbst zu sein – perfekt, unnahbar, kühl und gleitend, immer stetig, immer gleich, und wenn uns mal was zum Tosen bringen soll, dann muss es schon ein mittlerer Katarakt sein! Wo ist denn da Platz fürs – berührbar sein? Und, bitte schön, warum denn auch? Es ist doch viel sicherer so! Halte dich zurück, hat meine Nixenmama immer gesagt. Umhülle und umschmeichle den Fels so lange, bis er geformt ist; aber sorge immer dafür, dass er glaubt, deinen Weg zu verändern, während Du in Wahrheit seine Form verwandelst. Das ist wahre Diplomatie, hat sie gesagt. Nicht dieser Unfug mit dem Wellentosen und Von-Felswänden-Herabstürzen, das ist nichts für dich, nichts für eine Waldseenixe!
Warum eigentlich nicht?
Dieses Wasser, was mich umgibt – es kommt von den Bergen, beginnt als lustig glucksende Quelle, hüpft und springt die Hochwiesen entlang; ergießt sich über den Felstreppen und vereinigt sich mit anderen seiner Art, um schließlich hier bei mir zu landen. Und dort, auf der anderen Seite des Sees, da verlässt es mein Reich wieder, um größer und größer zu werden, mächtiger und gewaltiger, bis es schließlich Täler aushöhlt und zornig anbrandend Meeresklippen niederreißt! Ja, Himmel noch mal, bin ich nun die Verkörperung dieses Elements oder nicht? Wieso darf das Wasser das und ich nicht?
„Du darfst es schon, doch du kannst es nicht.“ Ach, sieh mal einer an, plötzlich ist er hellwach, der Herr Luchs; wie zum Sprung gespannt sitzt er da und fixiert mich mit kleinen, funkelnden Katzenaugen. Und bequemt sich natürlich nicht, weiterzusprechen. Ach, wie ich diese Bröckchen-Hinwerferei hasse! Was bleibt einem von Natur aus gleichermaßen trotzigen wie neugierigen Wesen wie mir denn da anderes übrig, als – betont gelangweilt natürlich – zu fragen: „ So,, und warum bitte schön nicht?“
Überlegen lächelnd steht er auf – wie graziös Spannung doch sein kann! – und antwortet: „weil Dir das Feuer fehlt. Dein Feuer. Das Feuer des Wassers. Komm, ich zeige Dir, was ich meine.“ Spricht es und setzt mit drei, vier langen Sätzen zur Feuerstelle hinüber. Na, was der kann, kann ich schon lange, sage ich mir und schnelle wie ein Delphin über die Wasseroberfläche in Ufernähe. Wozu habe ich denn schließlich so lange geübt?
Zu meiner größten Genugtuung zieht auch er einige vorsichtige Kreise um den Lagerplatz, bevor er sich dem erloschenen Feuer nähert. Auf meinen spöttischen Kommentar erhalte ich einen vernichtenden Seitenblick zur Antwort und höre, wie er irgendwas von „hat ja keine Ahnung, wie das stinkt, wenn einem Funken ins Fell fliegen“ in seine Schnurrhaare brummelt. Mein scheckiger Freund lasst sein bestausgebildetes Riechorgan kurz über der Leiche des Lagerfeuers kreisen, dann beginnt er plötzlich, vorsichtig einige verkohlte Astteile zur Seite zu schieben. „Dachte ich mir´s doch“, höre ich. „Die wenigsten wissen, wie man das richtig macht, und unsereins darf sich dann mit den Folgen herumschlagen. Aber für unsere Zwecke“ – neckischer Seitenblick auf mich – „ist es ganz hervorragend so. Bitte sei so gut und hebe diene perfekte, unnahbare, kühle und gleitende Gestalt für einen Augenblick aus deinem Element und komme zu mir herüber.“ Alter Mistkerl – ich hasse es, wenn er Gedanken liest. Aber Tarnung ist alles, und so komme ich mit betont unbewegter Miene so würdevoll wie möglich zu ihm herübergerobbt und schaue auf dem Bauch liegend, das Kinn lasziv in die Hände gestützt – hach, manchmal wären Beine doch wirklich praktisch! – auf den Aschehaufen.
Aschehaufen? Um Himmels willen, der verrückte Luchs hat tatsächlich Glut zutage gefördert! Mein instinktiver Fluchtversuch wird von einer Raubtierpranke in meinem Rücken jäh gestoppt. Aus ist´s mit dem Versuch, Haltung zu bewahren; Asche im Gesicht ist der Würde doch sehr abträglich. Gleich wird er mir wieder vorwerfen, Angst zu haben – soweit darf es auf keinen Fall kommen! Ich richte mich also wieder auf und schaue mäßig interessiert auf das verbliebene Glutnest.
„Glut ist für mich das Faszinierendste am Feuer“, höre ich meinen geistig umnachteten Freund sagen. „Obwohl Funken und Flamme weitaus sensationeller aussehen, ist die Glut doch die stärkste, heißeste und mächtigste Kraft des Feuers. Was die Flamme in wütend einherbrausendem Sturm nicht vernichten kann, das verzehrt die Glut; Stück für Stück schwelt sie sich hartnäckig durch das dickste Holz hindurch, und was ihr im Wege ist, wird mit größter Ausdauer besiegt. Die Glut beendet planvoll und systematisch, was der Feuersturm in instinktiven, spontanen Akt begonnen hat. Und sie findet ihren Weg – wenn sie Zugang zur Luft hat, frisst sie sich sogar unter der schon erkalteten Asche weiter, um neue Nahrung zu finden.“ „Das kann das Wasser auch, sogar mit Felsen!“ entgegne ich. Sein Lächeln wird immer tiefer. „Ich habe nie etwas anderes behauptet.“
Zögernd fange ich an, zu begreifen. Wir haben etwas gemeinsam – dieser Überrest eines tobenden, funken-sprühenden Monsters und ich!
„Wo du gerade bei Funken bist“ – meinen grimmigen Blick ob dieses neuerlichen Eingriffs in meine hochheilige Privatsphäre ignorierend fährt er fort: „Ist Dir nie aufgefallen, wie leuchtend dein Blick ist, wenn Du fröhlich bist und die Sonne dir ins Gesicht scheint? Wahrhaftig, du hast den wunderbarsten Spiegel der Welt und benutzt ihn nur für dummen Firlefanz! Wie wäre es, wenn du deine Eitelkeit mal mit der Wahrheit zu befriedigen versuchtest und nicht mit dem lächerlichen Stückwerk deines ach so kostbaren Schuppenpanzers?“
Jetzt langt´s aber; jetzt ist der Punkt mit dem Katarakt erreicht. „Was bildest du dir eigentlich ein? Glaubst du etwa, nur weil du anders lebst, hättest du keinen Respekt vor der Weltanschauung anderer Wesen nötig? Wir Wasserleute sind kostbar und wichtig – und zwar genau so, wie wir sind! Wenn du mir wirklich etwas zeigen willst, dann halte gefälligst dein spöttisches Mundwerk im Zaum oder lasse es einfach sein! Tu das eine oder das andere, aber entscheide dich, und zwar sofort – und dann halte dich auch daran!“
Er blickt mich schweigend an; dann steht er auf und geht. Schade eigentlich…, aber was soll´s, ich habe eine Entscheidung verlangt und sie auch bekommen. Man muss halt mit den Konsequenzen seiner Taten leben kön…. He, da ist er ja wieder! Ein Stück knochentrockener Ast ragt aus seinem Maul. Behutsam legt er es auf der Glut ab; sorgsam rückt er es zurecht, um ihm vorsichtig und wohldosiert, aber stetig stärker mit der Pfote Luft zuzuführen. Während all dem sagt er kein Wort. Plötzlich lodert hell und klar eine Flammenzunge empor, tanzt in den Nachthimmel und singt das knisternde Lied von Tod und – und – und neuem Leben. Mein – Freund? Lehrer? – putzt sich die etwas angesengte Pfote und sagt leise: „ Genau das ist eben geschehen. Und du warst die Flamme.“
Ich spüre Tränen auf meinen Wangen, als ich antworte: „Das stimmt nicht. Aus dem Feuer entsteht neues Leben; es vernichtet Altes und schafft Platz für das Neue, und es lässt Asche als fruchtbaren Nährboden, auf dem das Neue wachsen kann, zurück. Aber meine Wut zerstört nur, sie macht alles kaputt, was mir wichtig ist.“
„Das ist nicht wahr. Sie zerstört lediglich, was Du nicht mehr erträgst. Was zu lange war und zu eng für dich geworden ist. Und sie ist genauso fruchtbar für dich, wie Asche für die Pflanzen. Ja, schau nicht so erstaunt – wusstest du das nicht? DU bist die Planze, die auf dem Nährboden deiner Wut gedeiht, du selbst! Zuerst bist Du das Feuer, das den alten Bewuchs vernichtet; doch dann verwandelst du dich in das zarte Gewächs der neuen Situation, das den Nutzen aus seiner eigenen vergangenen Gestalt zieht.“
Ich muss ihn ziemlich konsterniert angesehen haben, denn er kommt mit leisem Lachen an meine Seite und beginnt ein wenig ungeschickt, aber durchaus zärtlich, mein nicht vorhandenes Nackenfell zu lecken. Ich höre seine Stimme dicht an meinem Ohr, tief, dunkel und vibrierend: „ Ich war völlig perplex, als du mich vor die Wahl stelltest, mich zu benehmen oder zu verschwinden. Du meine Güte, du klangst wie meine Mutter persönlich, und die respektierte man besser, wenn man nicht mit einem einzigen Pfotenschlag quer durch den Bau gefegt werden wollte!“ Ich kann einfach nicht anders; bei der Vorstellung, wie mein großer, mächtiger Luchsmann einst als kleines Kätzchen von seiner wahrscheinlich noch viel beeindruckenderen Frau Mama zur Raison gebracht wurde, quirlt das Lachen wie eine heller, gleißender Strom aus mir hervor.
„Auch das ist eine Seite des Feuers“, sagt er. „Die Fähigkeit der Regeneration. Dein inneres Feuer ist der verlässlichste Heiler deines Körpers wie auch deiner Seele.“ Nun grinst er breit. „Danke übrigens für das ‚groß und prächtig’ .“
Ich kann ihm einfach nicht mehr böse sein. Im übrigen dämmert der Morgen langsam herauf; und so kommt es, dass wir Seite an Seite, die Gesichter gen Osten gewandt gemeinsam den Aufgang der wohl grandiosesten Manifestation des Feuers beobachten, die Mutter Natur zu bieten hat. Irgendwann sage ich in die andachtsvolle, nur vom Gesang der Vögel unterbrochenen Stille hinein:
„Feuer ist das Leben selbst.“
Freund Luchs sieht mich belustigt von der Seite an. „Natürlich“ antwortet er. „Aber nicht nur deshalb, weil ohne Sonne und Wärme kein Leben existieren könnte, sondern auch – und damit schließen wir den Kreis – weil die Erfahrung der Zeugung im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne ein Akt der lebensspendenden Flamme ist … und ebenso verhält es sich mit der liebenden Vereinigung zweier Wesen.
Und dann, mit einem verschmitzten Lächeln in Richtung Horizont: „Aber diese Lektion lässt du dir besser von einem deiner eigenen Art geben.“